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Welcher Wärmeschutzstandard ist sinnvoll?

Wärmeschutzstandard beim Neubau

Beim Neubau ist der Passivhaus-Standard nicht nur für einen wirksamen Klimaschutz unverzichtbar, sondern zusätzlich auch wirtschaftlich interessant. Abbildung 6 zeigt ausgehend vom Basisfall eines Neubaus mit 100 kWh/(m²a) Heizwärmebedarf die zusätzlichen Baukosten für die weitere Verbesserung des Wärmeschutzstandards (grüne Kurve) sowie die resultierenden Heizkosten (blaue Kurve). Die Heizkosten nehmen naturgemäß mit einem verbesserten Wärmeschutzstandard ab, bis zum Null-Heizenergie-Haus, bei dem keine Heizkosten mehr anfallen. Die Baukosten nehmen dagegen mit besserem Wärmeschutzstandard zu, da Investitionen in dickere Wärmedämmung, bessere Fenster etc. erforderlich sind. Allerdings ergibt sich bei Erreichen des Passivhausstandards ein Kostenvorteil durch Wegfall von Heizkörpern und Anschlussleitungen, wegen der nun gegebenen Beheizbarkeit über die Zuluft (sichtbar als Knick in der Kostenkurve bei 15 kWh(m²a) Heizwärmebedarf). Dieser Kostenvorteil bleibt auch bei der Addition von Bau-Mehrkosten und Heizkosten (rote Kurve) erhalten, so dass sich ein wirtschaftliches Optimum beim Passivhaus-Standard ergibt. Auch noch die letzten Kilowattstunden vom Passivhaus bis zum Null-Heizenergiehaus einzusparen erfordert dagegen einen unverhältnismäßig großen Investitionsaufwand.

Abbildung 6: Summe aus zusätzlichen Baukosten für Wärmeschutzmaßnahmen (ausgehend vom Basisfall 100 kWh/(m²a) Heizwärmebedarf) und den Heizkosten für Neubauten mit einem Heizwärmebedarf von 100 bis 0 kWh/(m²a).


Beim Neubau sprechen also auch wirtschaftliche Gründe dafür, den Passivhaus-Standard anzustreben. Die Wärmeschutzstandards der einzelnen Bauteile (thermische Hülle, Lüftungsanlage etc.) können dabei mit Hilfe des Passivhaus Projektierungs Pakets (PHPP) so angepasst werden, dass der Passivhaus-Standard für das gesamte Gebäude gerade erreicht wird.

Wärmeschutzstandard bei der Altbaumodernisierung

Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit

Bei der Altbaumodernisierung stellt sich die Situation anders als beim Neubau dar. Zum einen ist das Erreichen des Passivhaus-Standards häufig mit einem sehr viel höheren Aufwand verbunden, da in vielen Fällen Wärmebrücken zum kalten Keller oder zu Nachbargebäuden verbleiben. Gerade bei schrittweise durchgeführter Modernisierung werden außerdem häufig die vorhandenen Heizkörper weitergenutzt, so dass durch eine Zuluftheizung keine Kosteneinsparung erzielt werden kann.

Der Passivhaus-Standard stellt also für viele Altbauten keine wirtschaftlich interessante Option dar. Da sich aber erfahrungsgemäß nur das in der Breite durchsetzen kann, was sich auch „rechnet“, stellt sich die Frage, welcher Wärmeschutzstandard bei der Altbaumodernisierung ökonomisch optimal ist. Ob der so ermittelte Wärmeschutzstandard auch hinsichtlich des Klimaschutzes akzeptabel ist, soll hier ebenfalls - zumindest für das Beispielgebäude - untersucht werden.

Es bietet sich gerade bei der schrittweise durchgeführten Modernisierung an, nicht wie beim Neubau einen energetischen Standard für das gesamte Gebäude anzustreben und danach alle Einzelbauteile auszurichten, sondern für jede Einzelmaßnahme einen Wärmeschutzstandard im Bereich des einzelwirtschaftlichen Optimums aus Investitions- und Wartungskosten sowie Heizkosteneinsparungen zu wählen. Das Passivhaus Institut hat in der Studie [Kah/Feist 2008] für das Bundesbauministerium dieses ökonomische Optimum für eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen untersucht (näheres dazu im Beitrag von Oliver Kah). Abbildung 7 zeigt beispielhaft das Ergebnis für die Herstellung eines Wärmedämm-Verbundsystems (WDVS), bei ohnehin anstehendem Fassaden-Neuanstrich. Der höchste Gewinn (knapp 4 €/a pro 1 m² Fassadenfläche) ergibt sich bei 22 cm Dämmstärke (λ = 0,040 W/(mK)). Das Optimum der Kurve ist allerdings sehr flach, so dass man eher von einem ökonomisch optimalen Bereich sprechen muss, der zwischen 14 und 32 cm Dämmstärke liegt. Innerhalb dieses Bereichs unterscheidet sich der jährliche Gewinn nur geringfügig, insbesondere unter Berücksichtigung der Ungenauigkeiten, die jede allgemeine Kostenberechnung mit sich bringt. Wählt man statt des absoluten Optimums (22 cm) eine Dämmstärke vom oberen Ende des optimalen Bereichs (32 cm), so ist das eine sehr wirksame und dazu noch nahezu kostenneutrale Klimaschutzmaßnahme. Als angenehmen Nebeneffekt erlangt man zudem eine noch größere Unabhängigkeit von zukünftigen Energiepreis-Schwankungen.

Abbildung 7: Jährlicher Gewinn pro m² Fassadenfläche bei Ausführung eines Wärmedämm-Verbundsystems (bei ohnehin erforderlicher Fassadensanierung). Der Gewinn ergibt sich aus den Mehrkosten des WDVS gegenüber einer reinen Putzerneuerung ohne Wärmedämmung, verrechnet mit der resultierenden Heizkosteneinsparung.


Für die weiteren Untersuchungen wurde allerdings tatsächlich das absolute ökonomische Optimum für jede Wärmeschutzmaßnahme zugrundegelegt. Für die Umsetzung bei realen Sanierungsprojekten ist aber aus den oben genannten Gründen eine Orientierung zum oberen Ende des ökonomisch optimalen Bereichs empfehlenswert.

Weitere Anforderungen bei der Altbaumodernisierung

Neben der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit sollte bei einer Altbaumodernisierung die Gelegenheit genutzt werden, auch die drei typischen Altbauprobleme Schimmel, ungenügende thermische Behaglichkeit und „schlechte Luft“ anzugehen. Im Folgenden werden die dafür erforderlichen Voraussetzungen beschrieben, basierend auf Erkenntnissen aus früheren Veröffentlichungen des PHI. Diese Voraussetzungen wurden als Nebenbedingungen zusätzlich zu den Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit für die Wärmeschutzmaßnahmen am Beispielgebäude zugrunde gelegt.

Schimmel

Schimmel kann entstehen, wenn Innenoberflächentemperaturen von Außenbauteilen so niedrig sind, dass eine erhöhte Wasseraktivität (≥ 80 %) oder Tauwasserbildung verursacht wird. Dies ist bei normalen Innenraubedingungen (50 % rel. Feuchte, 20 °C Lufttemperatur) unterhalb von 12,6 °C Oberflächentemperatur der Fall. Regelbauteile und vor allem auch Wärmebrücken an Bauteilanschlüssen sollten daher hinsichtlich ihres Wärmeschutzes so bemessen sein, dass diese Temperatur bei standorttypischen Auslegungsbedingungen nicht unterschritten wird.

Die Wasseraktivität (aw-Wert) eines Baustoffs eignet sich gut als Kriterium für die Wahrscheinlichkeit von Schimmelwachstum. Der aw-Wert gibt Aufschluss über das chemisch nicht gebundene Wasser. Er ist durch die sich einstellende Gleichgewichtsfeuchte in einem abgeschlossenen Luftraum mit einer anteilsmäßig geringeren Menge Luft als Feststoff definiert. In einem solchen Raum bestimmt das im Feststoff enthaltene freie Wasser die relative Feuchte der umgebenden Luft. Die Wasseraktivität kann Werte von 0 (0 % rel. F.) bis 1 (100 % rel. F.) annehmen. Unterhalb eines aw-Werts von 80 % ist auch auf verunreinigten Altputzen die Wahrscheinlichkeit von Schimmelwachstum gering.


Bei einer relativen Raumluftfeuchte über 50 % kann auch bei Oberflächentemperaturen über 12,6 °C Schimmel entstehen. Bei 60 % relativer Feuchte ist dies beispielsweise schon unterhalb von 15,5 °C der Fall. Simulationen und Messungen in Gebäuden haben gezeigt, dass bei reiner Fensterlüftung der erforderliche Luftwechsel für eine ausreichende Feuchteabfuhr häufig nicht erreicht wird (vgl. Abschnitt 9.2.2.3). Die kontrollierte Wohnungslüftung mit einer Lüftungsanlage ist daher, besonders vor dem Hintergrund von im Altbau häufig nicht vollständig entschärfbaren Wärmebrücken, unverzichtbar.

Feuchtigkeit aus der Raumluft kann sich nicht nur an kalten Innenoberflächen niederschlagen. Bei undichten Gebäuden gelangt sie zudem durch Fugen in die kalten äußeren Bereiche der Außenbauteile und führt dort zu Schäden durch Schimmel und Fäulnis. Insbesondere im Dachbereich besteht im Winter durch den thermischen Auftrieb im Gebäude ein dauerhafter Antrieb für die Exfiltration. Hier können bei üblichen winterlichen Klimabedingungen bei einer Fugenbreite von 1 mm auf 1 m Länge schon 360 g Wasser pro Tag in die Konstruktion gelangen (vgl. [Feist 2005]). Ebenfalls in [Feist 2005] wurde gezeigt, dass beispielsweise bei einem Warmdach zur Bauschadensvermeidung ein Wert für die Luftdichtheit von q50 = 0,6 m³/h/m² nicht überschritten werden sollte. Dies entspricht, bezogen auf die gesamte Gebäudehülle, ungefähr den Luftdichtheitsanforderungen an Passivhäuser.

Ungenügende thermische Behaglichkeit

Die ungenügende thermische Behaglichkeit in vielen Altbauten hat als grundlegende Ursache ebenfalls zu geringe Innenoberflächentemperaturen wegen eines nicht ausreichenden Wärmeschutzes der Außenbauteile. In der Folge werden schlechte Werte für die in [DIN EN ISO 7730] genannten Kriterien für die lokale Behaglichkeit erzielt. Diese umfassen:

  • Zugluftrisiko
  • Vertikaler Lufttemperaturunterschied zwischen Kopf und Fußknöchel
  • Zu warmer oder kalter Fußboden
  • Strahlungstemperatur-Asymmetrie
  • Schwankungen der operativen Temperatur in Raum und Zeit


operativen Temperatur: gleichmäßige Temperatur eines imaginären schwarzen Raumes, in dem eine Person die gleiche Wärmemenge durch Strahlung und Konvektion austauschen würde wie in der bestehenden nicht gleichmäßigen Umgebung


Abhängig von den in diesen Kriterien erreichten Werten kann das Umgebungsklima nach ISO 7730 einer der drei Komfortkategorien A, B oder C zugeordnet werden. Diese Kategorien entsprechen einem jeweiligen maximalen Prozentsatz an Personen, die mit dem Umgebungsklima unzufrieden sind (A < 6 %, B < 10 %, C < 15 %). In [Schnieders 2007] wurde gezeigt, dass die beste Kategorie „A“ bei einem ausreichend luftdichten Gebäude auch ohne Heizkörper unter dem Fenster dann sicher erreicht wird, wenn die regulären inneren Oberflächentemperaturen von raumbegrenzenden Bauteilen von der mittleren operativen Temperatur im Raum um nicht mehr als 4,2 K abweichen. Im mitteleuropäischen Klima (Auslegungstemperatur -16 °C) dürfen die Außenbauteile hierfür einen U-Wert von 0,85 W/(m²K) nicht überschreiten.

Bei sehr undichten Altbauten wird die Behaglichkeit zusätzlich durch Infiltration kalter Luft durch Fugen mit dem daraus resultierenden Zugluftrisiko beeinträchtigt. Dem wird durch eine Verbesserung der Luftdichtheit im Zuge der Modernisierung begegnet. Der Erfolg der Maßnahmen kann nur mit einem Drucktest geprüft und quantifiziert werden. Alle noch bestehenden Restleckagen, an denen beim Austritt die Luftgeschwindigkeit über 0,3 m/s liegt, sind durch alle gebräuchlichen Analyseverfahren (Handrückentest, Luftgeschwindigkeitsmessung mit Anemometer, Rauchtest, Unterdruckthermographie) auffindbar und können, insbesondere wenn Luftvolumenströme über 0,5 m³/h bestehen, während des Drucktests nachgebessert werden. Die verbleibenden Undichtheiten fördern so wenig Anfangsimpuls, dass die Luftgeschwindigkeiten in 50 cm Entfernung sehr gering sind und daher keine Beeinträchtigung der Behaglichkeit mehr verursacht wird (vgl. [Feist 2007]).

„Schlechte Luft“

Innenraumluft wird aus verschiedenen Quellen belastet. Dazu gehören unter anderem Schadstoffe aus Baustoffen, Mobiliar und Geräten, Schimmelsporen, aus dem Boden aufsteigendes radioaktives Radon, durch Bewohner und deren Tätigkeiten (Duschen, Kochen etc.) erzeugter Wasserdampf, sowie durch die Atmung erzeugtes Kohlendioxid. Schadstoffe und Wasserdampf müssen in ausreichendem Maße abgeführt werden, um dauerhaft gesundheitlich unbedenkliche und frische Luft zu gewährleisten, sowie um Bauschäden durch zu hohe Luftfeuchtigkeit zu vermeiden. Hierzu ist eine ausreichende Belüftung des Wohnraums erforderlich. Die Diffusion des Wasserdampfs durch die Gebäudehülle kann auch bei sehr diffusionsoffener Bauweise keinen nennenswerten Beitrag zur Entfeuchtung leisten.

Für einen ausreichenden Luftwechsel über die Fenster muss die Raumluft viermal täglich in möglichst regelmäßigen Abständen durch Stoßlüftung vollständig erneuert werden (vgl. [Schnieders 2003]). Dass dies insbesondere für Berufstätige nicht möglich ist, liegt auf der Hand. Messungen an einem modernisierten Altbau haben gezeigt, dass durch reine Fensterlüftung in der Realität im Durchschnitt nur etwa die Hälfte des empfohlenen Luftwechsels erreicht wurde (vgl. [Peper/Feist 2009]). Die Folge ist eine höhere Schadstoff- und Geruchsbelastung der Luft sowie ein höheres Bauschadensrisiko durch Schimmelbildung insbesondere an Wärmebrücken. Dauerhaft gute Luftqualität kann zuverlässig nur durch die kontrollierte Wohnungslüftung mit einer Lüftungsanlage erreicht werden (vgl. [Schnieders 2003]).

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